Der zensurierte, nicht mehr erschienene neue Beitrag, in der mittlerweile in der Referentin – Kunst und kulturelle Nahversorgung eingestellten Kolumne Spiele !

Die Kolumne SPIELE ! wird weiterhin hier im Blog Lotta schrei(b)t erscheinen.


Spaziergang

Für sportliche oder unternehmungslustige Menschen ein Unwort des Jahres. Bewegung im gefühlten Stillstand. Zügelung des Bewegungsdranges und der Abenteuerlust. Reduktion des Bewegungsradius. Abbau der Muskelmasse. Nur ein feiner Hauch von einer Durchlüftung der Lungen. Nicht mal ins Schnaufen kommt mensch. Das sich rückbildende Lungenvolumen eines aktiven Fuballfans, dem seit Monaten seine gemeinschaftlichen Jubel- und Anfeuerungsgesänge im Stadion verwehrt bleiben, kann damit nicht ausgeglichen werden.

In der sozial-emotionalen Dimension fehlt die Ventilwirkung des aktiven und passiven Sports. Er fällt als Sinngeber weg und treibt viele Menschen in Ersatzbereiche, die meist nicht so positiv besetzt seien, so der Sportsoziologe Prof. Otmar Weiß. Ein anderer sehr wichtiger Aspekt ist die Motivation, Sport zu treiben, die in schwierigen Situationen nachlasse. « Je länger diese Phase dauert, umso problematischer für die Gesellschaft. » Wird der natürliche Bewegungsdrang – v.a. der Sechs- bis Zehnjährigen – nicht gestillt, führt dies zu nachhaltigen Auswirkungen in der Persönlichkeitsentwicklung durch entstandene Bewegungsdefizite.

« Embodied Cognition » ist eines der Forschungsgebiete der Neurowissenschaften, die die enge Verflechtung von Bewegung und Bildung belegen. Höheres Denken beruht auf den unzähligen körperlichen Erlebnissen der Sensorik und Motorik beginnend als Baby. Später sind die wichtigste Unterrichtseinheiten: Sport, Musik, Theater, mit Händen tun (Basteln, Werken, Handarbeiten, Zeichnen, Malen, …) Durch Lernen entstehen neue neuronale Verbindungen. Regelmäßiger Sport schüttet Gehirn-Wachstumsfaktoren aus. Mit Mitte 20 endet der Aufbau des Frontalhirns – u.a. zuständig für Denken, Wollen, Handeln und Kontrolle der Persönlichkeit. Für die Katholische Kirche Grund genug, mit 26 Jahren die Missionierung zu beenden. Die Jugend als fruchtbarste Zeit der Idealisierung, nicht nur für die Kirche.

Weil Nervenzellen miteinander kommunizieren, verändert sich auch das erwachsene Gehirn ständig. In Anlehnung an Watzlawick: Man kann nicht nicht sein Gehirn ändern! Nervenzellen verknüpfen sich ein Leben lang. Das Gehirn ist das Gedächtnis, das Denken und die Verarbeitung. Demenz ist keine Diagnose, es ist eine Beschreibung: Es geht bergab mit dem Geist. Dafür gibt es viele verschiedene Ursachen. Aber eines gilt: « Je höher man anfängt, desto länger dauert der Abstieg. » Und je länger man aktiv ist, desto flacher der Abstieg. Für Ältere Menschen bedeutet dies die aktive Teilhabe am sozialen Zusammenleben. Die beste Forderung für das Gehirn sind Enkelkinder. Prof. Dr. Manfred Spitzer, Psychiater und Gehirnforscher, warnte bereits vor Jahren, die Gesundheit und Bildung den Profitinteressen der fünf reichsten Firmen dieser Welt zu überlassen. Jene nutzen das Wissen der Neurowissenschaften: google, apple, amazon, microsoft, facebook. Die Gewinner der Krise.

Spaziergang. Als Ausdruck eines friedlichen gemeinsamen Protests gegen die Einschränkung der Grundrechte und den drakonischen Maßnahmen der Regierung, die den heimischen Motor der Wirtschaft, die KMU in die Knie zwingt und die Gesellschaft auf vielen Ebenen nachhaltig schädigt. Ziviler Ungehorsam als Reaktion auf das Verbot des Demonstrations-Rechts. Ein Austauschort der Wärme, Nähe und Begegnung für so manche aus ihrem sozialen Umfeld Gestossenen, ob ihrer nicht regierungstreuen Meinung.

Spaziergang. Für Promenadologen ein Instrument zur Erforschung unserer alltäglichen Umwelt. Eingesetzt zur Vermittlung von Wissen und Inhalten. Die Entstehung der Spazierwissenschaft geht auf den Schweizer Prof. Lucius Burckhardt und seiner langjährigen Lehrtätigkeit der « Sozioökonomie urbaner Systeme » an der Gesamthochschule Kassel zurück. Als kritischer Geist des Technokratischen Ansatzes in der Planungswirtschaft entwickelte er – in der Ästhetischen Theorie der Landschaftsplanung – zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Annemarie Burckhardt, StudentInnen, FreundInnen und KollegInnen die Grundlagen der Landschaftswahrnehmung: « Die Landschaft ist in unseren Köpfen. Wir sehen nur, was wir gelernt haben zu sehen. »


Tipp: Video Fachtagung Berlin 2017 « Bewegung bildet »
Prof. Dr. Manfred Spitzer (Psychiater, Gehirnforscher): Sport und Gehirn – Was weiß die Neurowissenschaft?